Skip to main content

Heilsamer achtsamer Umgang mit Wut

Heilsamer achtsamer Umgang mit Wut

Heilsamer achtsamer Umgang mit Wut – kennst Du die Frage, wie Du mit Wut einen guten Umgang finden kannst? Weder sie und das Geschenk ihrer vitalen Energien zu unterdrücken, noch sie beziehungsdestruktiv zu äußern? Eine Aufgabe, für die die wenigsten eine befriedigende Lösung haben. Eine Aufgabe, mit der ich mich richtig viel Zeit in meinem Leben beschäftigen musste, denn an der Stelle war ich lange Zeit emotionale Analphabetin.

Stark tabuisiertes Gefühl

Als junge Frau Mitte 20 wusste ich gar nicht, dass ich wütend war darüber, dass mein damaliger Mann etwas mit einer anderen Frau hatte. Die Wut darüber war „im Exil“ gelandet. Auch Mitte 30 wusste ich nicht, was gemeint war, als ich in meiner Psychotherapieausbildung erfuhr, dass ich die Gruppe blockiere, weil ich meine Wut zurückhalte und die Aufgabe erhielt, meine Wut einzubringen. Was Wut angeht, war ich lange Zeit meines erwachsenen Lebens eine emotionale Analphabetin. Es hat 3 Jahre gedauert, bis ich mehr als eine Ahnung davon hatte, das Wut in mir steckt. Kommt Dir davon etwas bekannt vor?

Wut im Elternhaus

Kannst Du Dich daran erinnern, wie in Deinem Elternhaus damit umgegangen wurde, wenn Du wütend warst? Bei mir stand in einem Büchlein, dass meine ältere Schwester netterweise über mich in der Zeit, als sie mir beim Aufwachsen zuguckte, unter einem Bild, wo ich vor dem Kühlschrank stehe und mit meinem Ärmchen am Griff ziehe: „Da bekam Claudia zum ersten mal Haue“. Die Situation: der Kühlschrank war abgeschlossen. Ich, etwa 2 Jahre alt, zerrte wütend und laut schreiend am Griff, weil ich etwas aus dem Kühlschrank essen wollte. Viele Menschen, besonders Frauen, kennen das – dass Wut ein sehr geächtetes Gefühl in ihrem Umfeld war, so sehr, dass es oft mit Gewalt beantwortet wurde.

Aggression

„Die meisten von uns verwechseln Wut mit Aggression, das ist schonmal das Erste. Aber Wut, in ihrer reinen Form, ist eine verletzliche Emotion. Sie ist eine Art zu zeigen, dass einem etwas wichtig ist und dies energetisch zu betonen. Das ist keine Scham und keine Beschuldigung, nur Feuer. Es ist eine Energie, die eine Beziehung vertieft, wenn sie gut aufgenommen wird. Aggression sieht in manchen Fällen ähnlich aus wie Wut. Aber da ist keine Verletzlichkeit und sie möchte den anderen verletzen. Und wenn wir das bis zum Extrem ausreizen, sind wir bei Gewalt. Die muss nicht physisch sein, sondern kann auch emotional ablaufen. Und wegen all dem hat Wut einen schlechten Ruf.“ Robert August Masters, Psychotherapeut

Diese klare Unterscheidung der beiden Gefühle wird fast nirgendwo auf der Welt gemacht, und auch in der westlichen Psychotherapie sehr häufig nicht. Auch die Achtsamkeitspraxis der Plum Village Tradition ist da nicht klar und macht diese Unterscheidung nicht.

 Herzwut

In einem phantastischen Artikel über Wut fand ich wesentliche Antworten auf die Fragen, die sich um den Umgang mit dieser Emotion drehen. Darin wurden alle meine Fragezeichen und Zweifel über die Achtsamkeitspraxis aus den Achtsamkeitsübungen von Thich Nhat Hanh beantwortet bzw. beseitigt. in diesem Artikel spricht der Autor von „Herzwut“, einer Wut, die im Mitgefühl für sich selbst und im Mitgefühl für die Person, auf die sich die Wut bezieht, geäußert wird. Weiterführender Artikel, sehr empfehlenswert zu lesen: https://www.sein.de/wut-die-missverstandene-emotion/ )

Im Kontext dieses Artikels stehen Überlegungen und Hinweise zu der Übung des achtsamen Umgangs mit Wut

Thich Nhat Hanh hat die Plum Village Tradition begründet. Er hat mit seiner weltweiten Gemeinschaft die 5 Achtsamkeitsübungen verfasst – die Übungen einer zeitgemäßen globalen Ethik.

Auszug aus der 4. Achtsamkeitsübung nach der Plum Village Tradition

„Wenn Ärger in mir aufsteigt, bin ich entschlossen, nach Möglichkeit erst einmal nicht zu sprechen. Ich werde achtsames Atmen und Gehen praktizieren, um meinen Ärger zu erkennen und tief in seine Wurzeln zu schauen, besonders in meine falschen oder ungünstigen Wahrnehmungen und mein fehlendes Verständnis für mein eigenes Leiden und das der anderen Person.“

Es lohnt sich, diese Übung sehr genau zu studieren, denn die meisten Menschen lesen darin den Aufruf, Wut zu unterdrücken, und das ist explizit nicht damit gemeint.

„Wenn Ärger in mir aufsteigt, bin ich entschlossen, nach Möglichkeit erst einmal nicht zu sprechen….“

Du bist also hier eingeladen, eine Art „Abstinenz“ von einer unbewussten unreflektierten Reaktion zu halten. Damit ist nicht eine Situation gemeint, in der reagieren unbedingt wichtig ist. Wenn dein Kind ohne zu gucken über die Strasse läuft, musst du so laut wie möglich schreien. Es gibt viele andere Situationen, in denen es möglich ist, dass du dir mit einer Reaktion Zeit lässt. Um solche Situationen geht es hier. Das Ziel ist, erst mal Bewusstheit in dich zu bringen, bevor Du reagierst.

„….Ich werde achtsames Atmen und Gehen praktizieren, um meinen Ärger zu erkennen…“

Oftmals erkennst du vielleicht deine Wut gar nicht. Es gibt Menschen, die spüren überhaupt nichts an den Stellen, wo Wut vielleicht zu vermuten ist. Wo die meisten andere sagen würden, „das würde mich an deiner Stelle total wütend machen“. Bei manchen Menschen ist es sehr stark ausgeprägt, dass sie keine Wut fühlen. Vielleicht haben sie Gewalt erfahren, wenn sie wütend wurden als Kind. Vielleicht gab es ein sehr zwanghaftes Klima zu Hause, wobei der Zwang eingesetzt wurde, um keine Gefühle zu fühlen oder z. B. keine Wut zu fühlen. Vielleicht hat die Familie in der Kindheit grundsätzlich keine Gefühle gelebt. Oder das Fühlen und Ausdrücken von Gefühlen wurde durch Bestrafen oder Lächerlichmachen beantwortet. Oder Gefühle zu fühlen wurde erlebt als Beginn von Demütigung. Oder das das Gefühl von Wut wurde als bedrohlich erlebt und ganz weit abgespalten. „Claudia bekam zum ersten Mal Haue“.

Über sich selbst lernen am Ausmaß von Wut

Ich weiß nicht, wie es für Dich ist – bei mir ist es sehr häufig so, dass ich erst am Ausmaß meiner Wut merke, wie wichtig mir etwas ist. Manchmal ist ein Ereignis so, dass ich Wut empfinde. Kennst Du es auch, dass Du Wut empfindest und anfängst, innerlich mit dir zu diskutieren und dir einzureden, dass das ja wohl nicht so schlimm ist. Dass das ja nun wirklich kein Anlass für Wut ist. Dass Wut immer zu schwierigen Situationen führt. Und dann ist es gut, erst mal Gehmeditation zu machen und achtsam zu atmen und dabei die Wut genau anzuschauen und genau zu erkennen, wie groß ist die Wut? Erforschen, worauf genau bin ich wütend? Es kann natürlich jede Form von tiefem Schauen geübt werden, nicht zwangsläufig Atmen und Gehmeditation, aber es häufig sehr sehr gut, sich zu bewegen und draußen zu sein, frische Luft und viel Platz fürs Herz zu haben, um die Wut anzuschauen und ihr Raum erst mal in dir zu geben. Also ein Gegenteil davon zu tun, Wut zu unterdrücken, sondern sie einerseits zu spüren aber andererseits zu halten.

 „…und tief in seine Wurzeln zu schauen…“

Wie schaut man tief in die Wurzeln von Wut? Zunächst mal einfach so, wie ich im vorigen Abschnitt gesagt habe. Im Sinne eines Fokusing. Wo überall ist die Wut in meinem Körper. Wie genau fühlt sie sich an? Wo kommt sie her? Tief schauen heißt einfach so etwas, wie diese Fragem zu stellen und im Innern zu forschen: „wo kommt sie her“? welches Bedürfnis, welche Grenze ist verletzt? Was will ich mit meiner Wut unterstreichen? Was ist mir wichtig usw.

„…..besonders in meine falschen oder ungünstigen Wahrnehmungen….“

Das ist ein besonders anspruchsvolles Kapitel. Wahrnehmungen sind sehr stark geprägt vom Wahrnehmenden. In der buddhistischen Psychologie sagt man, dass der Wahrnehmende und die Wahrnehmung identisch sind. Das widerspricht völlig unserer Vorstellung von der Objektivität von Wahrnehmungen. Tatsächlich sind Wahrnehmungen fast ausschließlich geprägt vom Wahrnehmenden, was sich an folgendem Beispiel verdeutlichen lässt: 3 Männer gehen in eine Stadt, die sie noch nicht kennen. Der erste sieht nur die Frauen, die er aufreißen will. Der zweite sieht nur die geilen Autos, die dort rumfahren. Der dritte hat großen Hunger und sieht nur die Restaurants, die auf dem Weg liegen. Alle sind in der gleichen Stadt. Sie nehmen alle „objektiv“ wahr, aber letztlich doch vollkommen geprägt von dem, was sie ganz persönlich zum Fokus machen.

Was bedeutet das für unsere Wahrnehmung, die die Wurzel von Wut ist?

Ein Beispiel: Angenommen, du hast erlebt, dass Du keine Wut empfinden darfst oder dass Wut in Deinem Elternhaus oder in deinem jetzigen sozialen Umfeld völlig tabuisiert wird und du liest diese Übung, dann liest du nur „wenn ich Wut empfinde, dann schweige ich erst mal“. Reißverschluß. Klappe zu. Und dann liest du die anderen Sätze, aber hängen bleibt nur der „ich schweige bei Wut“ – Satz. Daraus wird ganz schnell „ich muss schweigen“ und dann wieder „ich darf keine Wut fühlen“ und dann „ich bin böse, wenn ich Wut empfinde“.

Schau genau hin!  

In Wirklichkeit steht da aber etwas total anderes, nämlich, wenn Du achtsam, heilsam und bewusst mit Wut umgehen möchtest, dann halt erst mal die Klappe und guck dir die Wut mal genauer an! Da gibt es total viele Möglichkeiten und Ansätze, durch die du dem eigentlichen Sinn deiner Wut viel näher kommen kannst und dann auch adäquat handeln kannst.

Weiteres Beispiel für die „falsche Wahrnehmung“: Du bist ein Mensch mit verletzlichen Seiten. Du begegnest jemandem, z. B. Deinem Kollegen und der ist total unfreundlich. Das tut dir weh, und es macht dich wütend. Du möchtest, dass er freundlicher mit dir umgeht. Du denkst, er mag dich nicht und er ist unhöflich. Dann erzählt dir der Kollege, dass in der letzten Nacht seine Mutter gestorben ist. Er ist völlig geschockt, voller Schmerz und Unfähigkeit, ihn auszudrücken. Und du vergisst sofort, dass er unfreundlich war und dass du dachtest, er mag dich nicht, sondern du verstehst plötzlich sein Verhalten auf dem Hintergrund Deiner Information. Oder er erzählt, dass sein Kind die ganze Nacht gekotzt hat und er so hundsgemein erschöpft ist und nicht weiß, wie er den Tag überstehen soll und davon völlig gereizt ist. Da fällt es Dir vermutlich nicht schwer, deine „Wahrnehmung“ als eine falsche Wahrnehmung zu erkennen.

Wertvolle Meditation

Deshalb ist es eine sehr wertvolle Meditation, zu kontemplieren „Ich bin Wasser, das spiegelt, was ist wirklich wahr“. Wenn Du dir vorstellst, du bist ein ruhiges, spiegelndes Gewässer, was genau spiegelst du dann? Er ist unfreundlich. Sonst nichts. Es ist nicht zwangsläufig so, dass er dich nicht mag.

„…und mein fehlendes Verständnis für mein eigenes Leiden…“

So oft leiden wir und wissen eigentlich gar nicht genau, woran denn eigentlich. Etwas macht uns wütend, und wir wissen nicht wirklich, warum. Du denkst vielleicht, dass der Anlass Deiner Wut doch überhaupt gar nicht wichtig ist. Du verstehst dich selbst nicht, warum du wütend bist. Du weißt oftmals gar nicht, was die Wurzel Deiner Wut ist. Sie liegt möglicherweise in der Tiefe, im Verborgenen, in alten Verletzungen, die berührt werden oder in verletzten Bedürfnissen, die du noch gar nicht kennst oder in verletzten Werten. Wenn die Wurzel der Wut beispielsweise ist, dass du sehr verletzliche Seiten in dir hast, die du gar nicht haben willst und die unbeabsichtigt berührt werden können – so eine Achillesferse, die hat fast jede/r – dann löst das möglicherweise in dir immense Wut aus. Vielleicht weißt du gar nicht, dass das deine Achillesferse ist. Vielleicht erkennst du durch das tiefe Schauen in deine Wut und den Schmerz überhaupt erst, dass das genau deine Achillesferse ist. Dein Leiden, das du in dir trägst und von dem du noch gar nichts wusstest.

 „…….und das der anderen Person.“ 

Das Leiden der anderen Person kann genauso verborgen sein. Du kannst es dir zur Gewohnheit machen, wenn jemand unangenehm reagiert, dich zu fragen „Was ist mit dem denn los? Was hat sie, dass sie so reagiert?“ Wenn du solche Offenheit entwickeln kannst, dann bist du ein ganzes Stück auf dem Weg zur Meisterschaft gekommen! Denk an den Kollegen, dessen Mutter gestorben ist. Oder an die Nacht mit dem kotzenden Kind, das sich der Kollege um die Ohren gehauen hat.

„Was soll ich tun mit der Wut meiner Kinder?

Sie sind im Kindergartenalter, und es kommt häufig zu heftigen wütenden Streiten miteinander. Dann schlagen sie sich sogar. Das ist bei mir Alltag.“ Eine Mutter stellte am Achtsamkeitstag über Wut diese Frage.

Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie „suboptimal“ ich damit umgegangen bin, als meine beiden Söhne sich im Kindergartenalter und auch bis hinein in die Pubertät gestritten und gezankt haben. Dabei haben sie sich, je älter sie wurden, immer heftiger auch geschlagen. Ich habe damals darauf hilflos parteiisch und verurteilend reagiert. Ich habe eine Art Schiedsrichterinnenrolle übernommen. Ich habe versucht, herauszubekommen, wer der Schuldige des Streites war und denjenigen ermahnt und den anderen getröstet. Ich habe außer Acht gelassen, dass zu einem Streit meistens beide beitragen. Ich habe außer Acht gelassen, dass es häufig kein Streit auf Augenhöhe ist, da einer der Beiden der Ältere und körperlich Stärkere ist. Heute, mit viel Übung und Reflexion und einem starken Willen, andere Reaktionsmuster zu entwickeln, habe ich andere Möglichkeiten:

Eigene Gefühle klären

Was löst es in mir aus, wenn die Kinder sich so verhalten? Vielleicht löst es auch Wut aus? Genervtsein? Schmerz? Es hilft bereits, achtsam wahrzunehmen, was in dir vorgeht, um nicht auch noch zusätzlich Bestandteil des Problems zu werden und nicht auch noch zur Verschlimmerung des Streites beizutragen, indem du auch noch zusätzlich hilflos herumschreist.

Eigene Werte klären – Regeln aufstellen

Heute würde ich erst mal für mich selbst klare Werte aufstellen. Diese würde ich mit den Kindern teilen. Was ist Wut? Was ist Gewalt. Was darf sein – was darf nicht sein? Für mich wäre es so: Wut ausdrücken durch Schreien ist völlig in Ordnung. Ich würde sie als lebendige Energiewellle nehmen und erst mal tief durchatmen. Schlagen oder jegliche Form von Gewalt ist vollkommen tabu. Bei Schlagen oder anderen Formen von Gewalt wird sofort eingegriffen und wird sofort gestoppt. Beide werden räumlich getrennt. Wichtig wäre mir: dies zwar energisch und entschlossen und doch liebevoll, im Mitgefühl tun und nicht die Kinder werten, weil sie wütend sind oder sich schlagen.

Klären: Was möchte ich, dass die Kinder lernen?

Vielleicht teilst du auch als Wert, dass du deine Kinder zu friedliebenden konfliktfähigen Menschen erziehen möchtest? Dass sie Mitgefühl entwickeln und miteinander liebevoll und verständnisvoll Konflikte lösen? Bist du dafür ein gutes Beispiel? Weißt du, wie du das selber machen kannst? Lebst du ihnen das vor? Weißt du, welche Faktoren Konfliktlösungsfähigkeit ausmachen und wie du sie in deinen Kindern fördern kannst? Kannst du die Erziehungsziele spezifizieren? Wenn Du diese Fragen noch nicht befriedigend bejahen kannst, dann hast Du nun darüber Klarheit, wo es noch gut wäre, in deinem Herzen zu wachsen. Wenn Du sie bejahen kannst, dann mach weiter so!

Hier noch ein humorvolles 30-Sekunden-Beispiel für hochwirksame Interventionen bei Wut von Kindern im Supermarkt:

© Claudia Iseler

Kommentare (2)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.