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Brief an einen Nazi

Brief an einen Nazi

Hier kannst du meinen Brief an einen Nazi lesen. Es ist ein fiktiver Mensch. Es ist ein Mensch, den ich mir vorstelle, wenn ich die Phalanx von hassenden, hetzenden, gewalttätigen Männern in Chemnitz vor meinem inneren Auge sehe. Es ist für mich eine Übung, diesen Brief zu schreiben, eine Achtsamkeitsübung.

Ein hassender hetzender Mob in Chemnitz

Die Berichte über den Terror durch einen hetzenden Mob in Chemnitz am 26. August 2018 ließen mich ratlos und wütend zurück. Darüber habe ich in einem anderen Blog-Artikel bereits geschrieben. Nachdem ich mich einige Tage um diese Gefühle mit Achtsamkeitspraxis gekümmert habe, entstand in mir der nachfolgende Brief.  

Lieber Nazi – Mensch,

ich schreibe Dir, weil ich finde, dass wir miteinander sprechen sollten. Von Mensch zu Mensch. Von Herz zu Herz. Ja, ich weiß, das klingt vielleicht völlig fremd in deinen Ohren, aber bitte, lass es uns tun. So kann es nicht weiter gehen.

Ich möchte, dass du weißt, dass ich mich frage, was Dich bewegt, solche politischen Positionen einzunehmen und vor allem, was Dich dazu bewegt, Deine eigene Würde als Mensch so gravierend zu verletzen. Ein Mensch mit Würde entblößt nicht seine dunkelsten beschämendsten Seiten des Hasses und der Hetze.

Ein Mensch mit Würde

Ein Mensch mit Würde nimmt Hass in sich wahr als ein Zeichen. Ein Zeichen aus dem Innern, dass etwas für ihn in seinem Leben absolut unerträglich ist, etwas, was er zutiefst ablehnt.

Wenn wir Menschen dem Gefühl des Hasses in uns begegnen, dann sind wir mit all unserer emotionalen und rationalen Intelligenz gefragt, um damit würdevoll umzugehen.

Mein Gesprächswunsch geht also dahin, dass du mir erzählst, was es ist, was dir Deine Würde genommen hat, sodass Du aus einer Trauerfeier eine Hass – und Hetzkampagne machst. Warum verlierst Du Dein Mitgefühl für dich selbst und verlierst dich in einem Hass Menschen gegenüber, die überhaupt nichts damit zu tun haben, dass es dir so schlecht geht?

Gefühl der Unerträglichkeit und Ablehnung

Dass Du so viel Unerträglichkeit und so viel Ablehnung in dir verspürst – und nichts anderes ist Hass – dafür können nur ganz wenige Menschen etwas, und die sind wohl kaum unter den Flüchtlingen und MigrantInnen zu suchen. Mach Dir nichts vor – Du hast da vor allem selbst mit zu tun.

Was hat Dir Deine Würde genommen

Wenn sich würdevolle Menschen fragen, was ihnen die Würde genommen hat, dann kommen sie zu dem Schluss, dass es um Verletzungen in der Kindheit geht. Sie wurden geschlagen, gedemütigt, gehasst, als Feinde angesehen, meist von ihren eigenen Eltern. Niemand hatte es weniger verdient, als dieses kleine Kind, das wir einmal waren, geschlagen, gedemütigt, gehasst, als Feinde angesehen zu werden, als würdelose Wesen, denen keine Liebe und kein Mitgefühl entgegen kommt.

Was ist denn bloß passiert?

Ich frage mich, was ist Dir in Deinem Leben geschehen, dass da so viel Hass in Dir ist? Was hat Dir in Deinem Leben Deine Menschenwürde genommen, sodass du vergessen hast, als ein würdevoller liebender mitfühlender Mensch aufzutreten und Dich so  wenig wertvoll in unsere Gesellschaft einzubringen? Welche Schrecklichkeiten hast du als kleines harmloses wehrloses Kind erlebt, dass du nun ohne jegliche Würde agierst und Angst und Schrecken für andere Menschen verbreitest?

Adolf Hitler – nichts als ein ohnmächtiger hilfloser hassender kleiner Junge…

Wusstest Du, dass Adolf Hitler als sehr kleines Kind von seinem Vater sehr schwer misshandelt wurde? Täglich geprügelt wurde? Ist Dir klar, dass dessen Würdeverletzungen als sehr kleines Kind zu so unsäglich viel Hass in ihm geführt haben, dass er daraus sein Leben lang seine Kraft und Motivation zu Grausamkeiten, Krieg, Gewalt, Folter gezogen hat? Nein, seine Kraft kam nicht aus einem Gefühl für Gerechtigkeit. Nein, seine Kraft kam nicht aus Überlegenheit als Arier. Seine Kraft kam aus dem völlig kranken übersteigerten Hass, den er entwickelt hat, weil er als kleiner hilfloser Junge selbst so gequält worden ist. 

….nichts als ein kleines ohnmächtiges verletztes Opfer

Adolf Hitler hatte niemals die Eier in der Hose, sich diesem unerträglichen seelischen Schmerz zu stellen. Ein echter Mann stellt sich dem Schmerz von Ohnmacht und Verletzung von Körper und Seele. Er bringt Gutes in die Welt. Frieden. Liebe. Mitgefühl. Solidarität. Nächstenliebe.  Ein würdevoller Mann liebt es, andere zu schützen. Zu so viel Gutem war Dein Führer seelisch gar nicht in der Lage. Er hat diesen Schmerz weitergegeben, mehr nicht. Was für ein Jammerlappen! Nicht „Sieg Heil“ war sein Lebenswerk, sondern Terror, Unterwerfung, Folter, Qual und Ermordung von unschuldigen Schwächeren.

Verherrlichung eines menschlichen Jammerlappens

Warum verherrlichst Du so einen Menschen, der so viel Leid zugefügt hat, Millionen von Menschen, in Deutschland und auf der ganzen Welt? Einen Menschen, den niemand auf der Welt liebt, außer so ein paar würdelosen Kollegen von dir? Warum verleugnest du so oft, dass er das getan hat? Warum verleugnest du, dass er 6 Millionen Juden gequält, gefoltert und ermordet hat? Ist es möglicherweise so, dass du solche Taten selbst nicht gut findest? Ist es vielleicht so, dass du lieber Adolf Hitlers Taten verleugnest – und damit eine Straftat begehst – als dir klar zu machen, welchem geisteskranken Idioten Du hinterherläufst?

Das würde ja bedeuten, dass es in Dir Werte gibt, nicht so zu sein, wie Adolf Hitler?

Hochintelligente Fragen

Ja, ich weiß, es ist nicht so üblich, dort, wo Du herkommst, sich diese Fragen zu stellen. Dabei sind sie – rational und emotional – hochintelligent. Wenn Du Dir diese Fragen stellen würdest, voller Mitgefühl für dich selbst, das würde Dir Deine Würde zurückgeben. Dessen bin ich mir ganz sicher. Es tut gut, ein würdevoller Mensch zu sein.

Lass uns darüber im Gespräch bleiben! Erzähl mir bei Gelegenheit mal, welche Antworten Du gefunden hast, ja!? Dann sehen wir weiter.

In Liebe, Claudia Iseler

Übung von Thich Nhat Hanh

Damit schließe ich eine Aufgabe ab, die ich 2006 begonnen habe. Damals nahm ich mit 1.000 Menschen an einem 3-wöchigen Retreat von Thich Nhat Hanh, Zenmeister, Friedensaktivist und Poet teil. Wir alle erhielten von ihm als Aufgabe für das Retreat, einen Brief in Mitgefühl an einen Selbstmordattentäter zu schreiben. Da mir das Mitgefühl für die Opfer von Attentaten viel näher liegt, als das für Täter und da ich gewohnt war, Tätern Wut und Verurteilung entgegen zu bringen,  war mir dieser Brief damals nicht möglich. Ich musste immerzu weinen, wenn ich mir nur vorstellte, diesen Brief zu schreiben, denn das Leid der Opfer war mir jedes Mal näher, als das Leid der Täter. Dennoch führte die Retreatpraxis dazu, dass sich meine Mitgefühlsfähigkeit verbesserte. Mitgenommen habe ich damals die Idee, man könne einem Täter gegenüber Mitgefühl entwickeln und den Wunsch, innerlich so stark zu sein, dass ich diese Aufgabe erfüllen könnte.

Claudia Iseler

English version:

Letter to a Nazi

Below I will write a letter to a Nazi. It is a fictional person. It’s a human being I imagine when I see the phalanx of hateful, rushing, violent men in Chemnitz in my mind’s eye. It is an exercise for me to write this letter, a mindfulness exercise.

A hate-bustling mob in Chemnitz

The reports of the terror by a rushing mob in Chemnitz on August 26, 2018 left me helpless and angry. I’ve already written about that in another blog article. After taking care of these feelings with mindfulness practice for a few days, the following letter arose in me.

Dear Nazi – Human,

I write to you because I think we should talk to each other. From human to human. From heart to heart. Yes, I know, that may sound completely strange in your ears, but please, let’s do it. It can not go on like this. I want you to know that I am wondering what motivates you to take such political positions and, above all, what is driving you to violate your own dignity as a human being so seriously. A person of dignity does not bare his darkest, most embarrassing sides of hatred and hate speech.

A human with dignity

A dignified person perceives hatred as a sign. A sign from the inside that something is absolutely unbearable for him in his life, something he deeply rejects. When we humans encounter the feeling of hate within us, we are in need of all our emotional and rational intelligence to handle it with dignity. So my wish to talk is that you tell me what it is, what your dignity has taken away, so that you make a hate and hate campaign from a memorial service. Why do you lose your compassion for yourself and lose yourself in a hatred of people who have nothing to do with you being so bad?

Feeling of intolerability and rejection

That you feel so much unbearable and so much rejection in you – and nothing else is hate – only very few people have caused that, and they are hardly to be found among the refugees and migrants.

Do not fool yourself – you have to deal with yourself.

What did your dignity take away from you?

When dignified people ask themselves, what has taken their dignity, they conclude that it is childhood injury. They were beaten, humiliated, hated, viewed as enemies, mostly by their own parents. No one deserves this treatment less than this little child we once were, beaten, humiliated, hated, viewed as enemies, as undignified beings to whom no love and no compassion comes.

What on earth happened?

I wonder, what happened to you in your life, that there is so much hate in you? What has taken away your human dignity in your life, so that you have forgotten to act as a dignified loving compassionate person and to contribute so little valuable in our society? What terrible things have you experienced as a small harmless defenseless child, that you now act without any dignity and spread fear and terror for other people?

Adolf Hitler – nothing but an impotent helpless hating little boy …

Did you know that Adolf Hitler was very badly abused by his father as a very small child? That he was beaten daily? Do you realize that his dignity as a very small child has led to such unspeakable hatred in him that he has drawn his whole life from this hatred his strength and motivation to atrocities, war, violence, torture? No, his strength did not come from a sense of justice. No, his power did not come from superiority as an Aryan. His power came from the totally sick exaggerated hatred he developed because he was so tormented as a small helpless boy himself.

… nothing but a small powerless injured victim

Adolf Hitler never had the balls in his pants to face this unbearable emotional pain. A real man faces the pain of powerlessness and injury to body and soul. He brings good things into the world. Peace. Love. Compassion. Solidarity. Charity. A dignified man loves to protect others. Your “Führer” was not able to do such good things. He passed on this pain, nothing more. What a whiner! Not „Sieg Heil“ was his life’s work, but terror, submission, torture, agony and murder of innocent weaker ones.

Glorification of a human whiner

Why do you glorify such a person, who has caused so much suffering, millions of people, in Germany and around the world? A man, who is not love in the world from anyone except a few undignified colleagues of yours? Why do you deny so many times that he did that? Why do you deny that he tortured and murdered 6 million Jews? Is it possible that you do not like such acts yourself? Is it perhaps that you prefer to deny Adolf Hitler’s actions – and thereby commit a crime – as to make you realize which insane idiot you are chasing after?

That would mean that there are values in you not to be like Adolf Hitler?

Highly intelligent questions

Yes, I know, it’s not so common where you come from to ask yourself these questions. In doing so they are – rational and emotional – highly intelligent. If you asked yourself these questions, full of compassion for yourself, that would restore your dignity. I’m sure of that. It feels good to be a dignified person. Let’s talk about it! Tell me on occasion, what answers you have found, yes? Then we’ll see.

In love, Claudia Iseler

Exercise by Thich Nhat Hanh

This concludes a task I started in 2006. At that time, I participated with 1,000 people in a 3-week retreat by Thich Nhat Hanh, Zen master, peace activist and poet. We all received from him as a task for the retreat to write a letter in compassion to a suicide bomber. Since I find the compassion for the victims of assassinations much closer than for the perpetrators and since I was used to bringing offenders anger and condemnation, it was not possible for me at the time to write this letter. I always cried when I imagined writing this letter, because the suffering of the victims was always closer to me than the suffering of the perpetrators. Nevertheless, the practice during the retreat has improved my compassion ability. At that time, I took the idea that one could develop compassion towards an offender and the desire to be so strong inside that I could fulfill this task.

Claudia Iseler

 

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